Herr Mühlbauer, wie funktioniert die Corona-App genau?
Prof. Dr. Wolfgang Mühlbauer: Das Ziel der App ist, dass ich weiß, wenn jemand, mit dem ich zu tun hatte, infiziert ist. Gleichzeitig soll der Infizierte anonym bleiben. Grob funktioniert es so: Ich brauche ein Smartphone und muss darauf die App installieren. Das ist erst mal alles. Im Hintergrund läuft die App rund um die Uhr und sendet circa alle fünf Sekunden Nachrichten aus. Gleichzeitig hält sie alle fünf Minuten Ausschau nach ankommenden Nachrichten von Smartphones in der Nähe. Wenn jemand in der Nähe ist, empfängt die App also Nachrichten und bekommt darin bestimmte Kennungen, die jedes Smartphone aber periodisch auswechselt, um anonym zu bleiben. Ganz wichtig: Die Kennungen sind nur eine Zahl. Das heißt es bleibt unbekannt, welche Person hinter der Kennung steht. Das andere Handy protokolliert diese Kennungen.
Was passiert im Falle einer Erkrankung?
Mühlbauer: Wenn jemand tatsächlich krank wird, dann muss er in seiner App melden, dass er Corona hat. Er braucht dazu aber einen QR-Code von der Stelle, die die Corona-Erkrankung festgestellt hat. Ohne QR-Code könnte auch Missbrauch stattfinden, etwa dass sich jemand im Scherz krank meldet. Ist der Code gescannt, schickt die App auf dem Handy des Infizierten eine Art Muster an eine zentrale Stelle. Die verteilt dann dieses „Muster“ weiter an die Handys, die sich in der gleichen Region wie der Infizierte aufgehalten habe. Mit diesem „Muster“ können die Nutzer abgleichen, ob Sie in der Vergangenheit eine Kennung erhalten haben, die dieses „Muster“ enthält. Falls ja, hatte der Nutzer Kontakt zu einem Infizierten.
Und die Identität des Infizierten?
Mühlbauer: Die bleibt verborgen und wird auch nicht zentral gespeichert.
Wie sicher ist das für den Nutzer?
Mühlbauer: Es ist technisch nach heutigem Wissensstand sehr gut gemacht – da gibt es unter Experten wenig Sorge. Die Privatsphäre ist geschützt, da die Daten verschlüsselt sind und nicht zentral gespeichert werden. Anders als in Frankreich, wo es einen Ansatz gab, dass Daten zentral gehalten werden. Das bedeutet die Behörde weiß dann, wer war zu welchem Zeitpunkt am gleichen Ort. In der deutschen App ist das anders. Was Privatsphäre angeht, ist die App darauf optimiert, dass man niemanden erkennen kann. Man setzt auf Bluetooth statt auf GPS. So kann man nicht nachvollziehen an welchem Ort die Menschen waren: Ich weiß zwar, dass es einen Kontakt gab, aber nicht wo.
Wie beurteilen Sie die Corona-Warn-App und den Entstehungsprozess?
Mühlbauer: Es ist eine sehr komplexe App. Insofern ist es erstaunlich, dass sie so schnell fertig wurde. Zwar gab es schon Forschungsprojekte in dem Bereich, dennoch ist sie sehr anspruchsvoll aus technischer Perspektive. Im Entstehungsprozess war das ein Open-Source-Projekt. Wirklich jeder kann sich den Code im Internet ansehen. Ich sehe das positiv, wenn man Entwicklern über die Schulter sehen kann.
Welch Lehre ziehen wir aus Ihrer Sicht aus der Corona-Krise in Bezug auf die technischen Möglichkeiten?
Mühlbauer: Für mich ist positiv, dass die technische Infrastruktur des Internets gut gerüstet war. Die zentrale „Verkehrskreuzung“ des Internets in Deutschland, der Internet- Exchange-Point in Frankfurt, konnte das gut stemmen. Es gab ja deutlich mehr Nutzung. Bedauerlich ist eher das Thema privater Internetzugang: Wenn ich auf dem Land wohne und die Anbindung schlecht ist, bin ich ausgesperrt. Insgesamt hat die Pandemie einen Schub für die Digitalisierung gebracht. Man stelle sich vor: Was wäre gewesen, wenn wir so eine Krise vor zwanzig Jahren gehabt hätten? Da hätte man gemerkt, wie isoliert man ist. Trotz allem wird der digitale nicht den persönlichen Kontakt ersetzen. Da bin ich mir sicher.
Werden Sie die App nutzen?
Mühlbauer: Ich werde Sie installieren. Einerseits aus technischem Interesse, aber auch weil ich meinen eigenen Beitrag gegen die Pandemie leisten möchte. Ob sie das alleinige Erfolgsmittel gegen Corona ist, da bin ich noch skeptisch. Ob Risikogruppen die App tatsächlich nutzen? Unter Senioren sind Smartphones etwas weniger verbreitet. Außerdem müsste man geschätzte 60 Prozent der Menschen mit der App erreichen. Aktuell gibt es nur eine App, die 60 Prozent der Bevölkerung erreicht, und das ist WhatsApp. Dennoch, sinnvoll ist der Einsatz sicherlich.
- Original Artikel im Oberbayerischen Volksblatt (OVB).
- Fernsehinterview mit Herrn Prof. Dr. Wolfgang Mühlbauer zur Corona-Warn-App