Beim Projekt „MobilE-PHY2“ wird ein sogenannter Versorgungspfad, der in den vergangenen drei Jahren entwickelt wurde, hinsichtlich seiner Vorteile im Vergleich zur Standardversorgung untersucht. Schwindel und Gleichgewichtsstörungen gehören neben Kopf- und Rückenschmerzen zu den häufigsten Beschwerden, die Patienten zum Hausarzt führen. „In der Hausarztpraxis klagt ungefähr jeder fünfte Patient über Schwindel“, sagt Prof. Dr. Klaus Jahn, Chefarzt der Neurologischen Klinik der Schön Klinik Bad Aibling und Wissenschaftler am Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum der Universität München am Klinikum Großhadern. Er begleitet das Projekt aus fachärztlicher Sicht und weiß, dass viele Leidtragende eine regelrechte Odyssee hinter sich haben, bis ihnen geholfen werden kann.
„Bei älteren Menschen heißt es oft, dass Schwindel und Gangunsicherheiten unvermeidbare Begleiterscheinungen des Alters seien, mit denen man leben muss. Dem ist aber in den allermeisten Fällen nicht so“, verdeutlicht Jahn. Viele Hausärzte wissen seinen Worten nach angesichts der verschiedenen Ursachen nur unzureichend darüber Bescheid, was mit welcher Art von Patient wann zu tun ist. Genau das wolle man durch das Projekt ändern.
Unsicherheit führt zum Rückzug aus dem Alltagsleben
„Chronischer Schwindel führt bei vielen Betroffenen zu Gangunsicherheit und erheblicher Angst zu stürzen. Die älteren Menschen ziehen sich deswegen oft mehr und mehr aus dem Alltagsleben zurück“, erläutert Prof. Dr. Martin Müller, Experte für Pflege- und Versorgungsforschung an der Fakultät für Angewandte Gesundheits- und Sozialwissenschaften der TH Rosenheim. Er leitet das Projekt zusammen mit seiner Fakultätskollegin Prof. Dr. Petra Bauer, die für die physiotherapeutische Expertise verantwortlich ist. „Physiotherapie ist eine der wichtigsten Therapiemaßnahmen bei den häufigsten nicht-akut auftretenden Schwindelarten. Bei Gleichgewichtsstörungen kommt zum Beispiel spezifisches Gleichgewichtstraining zum Einsatz, bei Lagerungsschwindel wendet der Therapeut sogenannte Lagerungsmanöver an. Regelmäßige körperliche Aktivität, zum Beispiel auch in Form von Heimübungsprogrammen, führt zu mehr Bewegungssicherheit und mindert die Symptome“, erläutert Bauer.
Die TH Rosenheim ist Mitglied im Münchner Netzwerk Versorgungsforschung (MobilE-NET). Die Forschungsplattform wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und vereint 16 Partner aus den Bereichen Hochschule, Versorgungspraxis, Kostenträger und Behörden. In den vergangenen Jahren wurde im Rahmen des Netzwerks die notwendige Vorarbeit geleistet, um jetzt in der zweiten Stufe die Wirksamkeit des Versorgungspfades zu testen.
„Wir haben die wissenschaftliche Literatur zum Thema bewertet sowie Interviews mit Patienten, Ärzten und Physiotherapeuten geführt, um ein genaues Bild sowohl der wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch der Praxisanforderungen zu bekommen“, erklärt Müller. Darauf aufbauend habe man mit Experten und Betroffenenvertretern den Versorgungspfad entwickelt, den man nun bis 2023 in einer umfangreichen Studie zusammen mit einem Forschungsteam der TU Dresden untersuche. „Im Idealfall zeigt unser Versorgungspfad deutliche Vorteile für die Behandlung von Schwindelpatienten auf und die Krankenkassen übernehmen schließlich die entsprechende Finanzierung in der hausärztlichen Praxis“, so die Hoffnung von Müller.
Regionale Hausarztpraxen und Pflegedienste gesucht
„In der ersten Phase des Projekts haben wir gesehen, dass die Umsetzung des Pfades stark von der Kommunikation zwischen Hausärzten, Therapeuten, Betroffenen und Angehörigen abhängt“, sagt Stefanie Skudlik, die das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin begleitet. Daher würden Fachkräfte aus ambulanten Pflegediensten fortgebildet, um als eine Art Bindeglied zwischen den verschiedenen Beteiligten fungieren.
Für das Projekt werden aktuell noch Hausarztpraxen und Pflegedienste aus der Region 18 (Stadt und Landkreis Rosenheim sowie die Landkreise Altötting, Berchtesgadener Land, Mühldorf und Traunstein) gesucht, die das Forschungsvorhaben mit unterstützen möchten. Als Ansprechpartner für Interessenten steht Prof. Müller per E-Mail an martin.mueller@th-rosenheim.de zur Verfügung.